Embodiment und Beratung
Embodiment (Verkörperung) ist in der Psychologie, der Soziologie, den Kognitionswissenschaften und anderen, für die Profession Supervision und Coaching, relevanten Wissensgebieten als wissenschaftlicher Begriff für eine konzeptionelle Neuorientierung eingeführt und wird intensiv beforscht.
Neu ist dabei das Verständnis für die Wechselwirkungen und zirkulären Verbindungen von Körper, Geist und Umwelt. Unser Gehirn denkt eben nicht allein. Verhalten, Handeln, Denken, Empfinden, Entscheiden sind unmittelbar mit physiologischen und motorischen Prozessen verbunden. Verkörperte Beratung lässt sich dann als Verständnis oder Perspektive verstehen, den Kunden in seiner körperlich- psychisch- geistigen Gesamtheit mit den Wechselwirkungen im Beratungssystem und dem Kontext zu verstehen und zu beraten.
Philosophie und Weisheitstraditionen haben sich immer schon mit dem Körper beschäftigt, sowohl positiv fördernd als auch negativ ablehnend. So betonte John Locke (1632- 1704) die Bedeutung der Sinne für das Denken. Von ihm stammt der Satz: Nichts ist im Verstande, was nicht zuvor im Sinne war. Für den „geköpften“ Körper steht Descartes (1596- 1650) mit dem vielzitierten Satz Cogito ergo sum (ich denke, also bin ich). Er ging davon aus, dass man die Sinne ausschalten müsse, um reines Wissen zu erhalten. Diese Vorstellung ist durch unsere abendländische Kulturgeschichte bis heute zutiefst geprägt. Die seit der Aufklärung prämierte Trennung von Körper und Geist hatte zur Folge, dass das Leibliche häufig ausgeblendet und abgewertet wurde und immer noch wird.
Das vom körperlichen Erleben abgekoppelte Denken und die Kontrolle auf Kosten der Lebendigkeit und Sinnlichkeit des Körpers wird in vielen, vor allem beruflichen Kontexten immer noch prämiert. Es scheint häufig so, als höre der Körper unterhalb der Halswirbel auf. Sachlichkeit wird als Abwesenheit von Emotionen verstanden, körperliche Empfindungen werden als lästige Begleitmusik schwieriger Situationen ignoriert und emotionale Ausbrüche und körperliche Zusammenbrüche individualisiert. Und bei allen Versuchen, Gefühle und körperliche Empfindungen zu ignorieren und zu kotrollieren, findet all das ja trotzdem statt.
Das Embodiment- oder Verkörperungsparadigma stellt nun diese tief verwurzelte Vorstellung wieder vom Kopf auf die Füße, indem das Zusammenspiel von Psyche/Geist, Körper/Leib und Umwelt als untrennbares, zirkuläres, sich wechselseitig beeinflussendes Geschehen betrachtet wird. Der Leib ist an allen kognitiven und emotionalen Vorgängen beteiligt und umgekehrt.
Wir können (auch mit unserem Körper) nicht Nicht-Kommunizieren. Watzlawick hatte mit dieser Aussage bereits den Körper und den nonverbalen Ausdruck im Blick. Die nonverbale Wahrnehmung und Verbindung zwischen Menschen verläuft „normalerweise“ unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und wird als Ausdruck, Intervention und Ressource kaum bewusst genutzt und erst beachtet, wenn die körperlichen und emotionalen Phänomene heftig für Beachtung sorgen.
Unsere leibliche Wahrnehmung und der unmittelbare nonverbale Ausdruck sind schneller als die bewusste Wahrnehmung. Die Entdeckungen des neuronalen Spiegelsystems von Rizzalotti & Sinigaglia zeigen eindrücklich die zwischenleibliche Verbindung und verkörperte Wahrnehmung. Wir können uns dem spontan entstehenden Impuls, in Beziehung zu gehen und/oder zu kommunizieren, nicht entziehen. Es passiert laufend, dass wir in körperlicher Resonanz mit dem Gegenüber sind, sowohl in Mitgefühl als auch in Abwehr und Abwendung.
Das hat Folgen für die Beratung. Der Verkörperungsdiskurs verändert das Beratungsverständnis grundsätzlicher und legt die zusätzliche Perspektive nahe, vermehrt auf die körperlich/leiblichen Phänomene zu achten, die sowieso fortlaufend im Beratungsprozess passieren und diese achtsam und respektvoll für das Verstehen, die Reflexion, Intervention und den Transfer in die Praxis zu nutzen.
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